Willkommen 2023!
Liebe vai-Mitglieder, liebe Freund|innen der Baukultur,
ein gutes neues Jahr! Es bleibt auch 2023 auf vielen Ebenen spannend und herausfordernd!
Nützen wir die Chancen, die wir haben! Seien wir mutig! Tun wir das Richtige im Hinblick auf die Verantwortungen, die wir haben und wissend um die Konsequenzen unseres Handelns und Nicht-Handelns.
Stellen wir uns dem Widerstand der ewigen Bremser, die derzeit alle Kraft aufbringen, um den Stillstand schön und sich auf die Zukunft heraus zu reden. Welche eine Verschwendung von Zeit und Energie!
Vielleicht haben auch Sie unlängst das ORF ZIB 2 Interview mit Frau Krumpeck von der „Letzten Generation“ und Frau Plakolm als Jugendstaatssekretärin gesehen? Was würde denn dagegen sprechen, einfache Maßnahmen im Hier und Jetzt zu setzen UND zu forschen, Technologien zu fördern und auf Innovation zu setzen? Was würde vor allem gegen einen inhaltlichen Kompetenzaufbau zu den drängenden Fragen unserer Zeit sprechen? Forscher|innen und Innovator|innen jedenfalls sehen darin keinen Widerspruch.
Ist am Ende vielleicht doch nicht alles Rhetorik? Die Fokussierung auf die Zukunft ist oftmals nur ein leeres Versprechen an sich selbst und an andere. Wir werden dann gesünder leben, friedlicher, freier. Diese Rede hält bereit, wozu wir jetzt nicht bereit sind. Der Blick unserer Gegenwart auf die Zukunft ist der der Generationen, die zuerst in den Wohlstand gezogen sind und dann in die Indifferenz. Die sich den Luxus von Mehr und Schneller und Besser leisten konnten und den offensichtlichen Befund anzweifeln, dass es so nicht weitergehen kann. „Als brauchten wir, um zu handeln, einen neuen Klimabericht, einen Schadensbericht über die Weltmeere, den Regenwald, die grassierende Armut.“, sagte dazu Roger Willemsen in seiner nachlesenswerten Rede „Wer wir waren.“
Apropos Argumente: Auch Diskutieren muss gelernt sein. Der Austausch von Argumenten ist die Grundvoraussetzung für eine funktionierende Demokratie. Weg von Befindlichkeiten und Empfindlichkeiten, von schnellen Meinungen und hin zum Wissen und zum Argument, zu einer intellektuellen Zumutung.
So macht Dialog und Diskussion Freude. Aber Achtung: auch in der holzaffinen Vorarlberger Baukultur nie den Wald vor lauter Bäumen übersehen und das große Ganze nicht aus dem Blick verlieren…
Die Themen sind gesetzt – die öko-soziale Transformation bietet den Rahmen – weg von reinem Profitstreben und neuen Ruinen in Form von unbewohnten und ungenutzten Neubauten. Die räumliche Entwicklung Vorarlbergs ist zu wichtig, um sie in eine Gelddruckmaschine zu verwandeln.
Geld lässt sich auch mit sinnvollen Dingen verdienen – mit der Entwicklung neuer Baustoffe, neuer Verfahren, mit Bauprojekten, die eine wertvolle Ergänzungen zum baulichen Bestand sind, mit Häusern für Menschen.
Gefragt sind nur noch Dinge, die Sinn machen, die Probleme lösen statt neue zu erzeugen.
In der Architektur geht es nun vermehrt um Weniger. Für die Architektur ist das nicht neu. Less is more - der Spruch von Mies van der Rohe hat im 20. Jahrhundert viel bewirkt. Ging es damals um eine Befreiung des modernen Bauwerks von den Altlasten des dekorativen bürgerlichen Kleingeistes hin zu einer lichten Großzügigkeit und mehr Funktionalität, um ein Neues Bauen, das Konstruktion und Material in ein sichtbares und „echtes“ Verhältnis rückt, drängt sich der Vergleich auf, dass auch heute Entrümpeln angesagt ist. Der alte schwere Samtvorhang der saturierten Selbstgenügsamkeit ist keine Erfindung des letzten Jahrhunderts. Er kommt in unterschiedlicher Gestalt immer wieder, schleicht sich ein, deckt alles zu. Irgendwann ist jede|r soweit, Altes loszulassen – seines es unliebsame Gewohnheiten, nicht mehr Gebrauchtes oder Dinge, die nicht mehr repariert werden können. Doch auch hier Achtung! Wer 2023 etwas nicht mehr braucht, weiß um den Wert von Recycling, den Wert des Materials und die Chance, die in der Wiederverwendung und Nachnutzung liegt.
Weniger ist mehr: weniger Emissionen, weniger Neubauten, weniger vom immer Gleichen. Doch Weniger allein ist nicht genug! Es braucht auch ein Mehr! Mehr gestalterische Qualität, mehr Räume für gesellschaftliche Teilhabe und Interaktion, mehr Nutzungsflexibilität und Offenheit für neue Wohnbedürfnisse und Arbeitsformen, mehr Bildung! Die Bau- und Materialwende muss gelingen und sie ist keine Last, sondern sinnvolle Notwendigkeit im eigenen Interesse. Sie hat das Potenzial, unser allen Leben zu verbessern, denn in den Gebäuden und Räumen, die so entstehen, werden sich Menschen wesentlich wohler fühlen – weil ökologische Baumaterialien gesund sind und Freude machen. Weil eine Orientierung an gesundheitsfördernden und sozialen Aspekten nur Vorteile bringen kann, auch für die Zukunft der heranwachsenden Generationen.
Auch neue Investitionsmöglichkeiten sind gefragt, die das Finanzialisierungskarussell endlich verlangsamen. Wie soll eine neue qualitätsvolle Architektur unter diesen Voraussetzungen stattfinden können? Der Dreh- und Angelpunkt guter Architektur sind engagierte Auftraggeber|innen. Auch wenn diese eine Immobilie nicht selbst nutzen, sondern als Investoren und Anleger auftreten, entbindet das nicht vom Anspruch für den eigenen Profit auch einen Beitrag zum öffentlichen Leben zu leisten – in Form eines Bauwerks, dessen Bestand eine positive Ergänzung zu Dorf- und Stadtbild und sozialer Infrastruktur darstellt. Der neue Leerstand, der rein aus individuellen Profitinteressen in den letzten Jahren entstand, ist heute ein Problem für lebendige Quartiere und konterkariert die Investitionen der öffentlichen Hand in diesem Bereich. Wer bindet 2023 allen Ernstes Emissionen für die Erstellung eines Hauses, in dem niemand wohnt? Hier ist die Verantwortung der Investor|innen gefragt und eine Regulierung durch die Politik, die diesen neuen Ruinen entgegenwirkt. Warum nicht in Renovierungen investieren und damit Bestand erhalten, weiterbauen, weiternutzen und das eigene Kapital nicht für die nächste seelenlose „Wohnanlage“ bereitstellen, sondern für sinnvolle Reparaturen und baukulturelle Akkupunkturen? Eine Orientierung von Investments im Baugewerbe an ESG (Environmental Social Governance) macht einfach Sinn!
All diese Themen finden Sie im Programm 2023 wieder, etwa beim Studientag „Wohnraum als Kapitalanalage?“ oder in unserer aktuellen Ausstellung „Mehr als gewohnt“.
Wir freuen uns auf Ihren Besuch, Ihre Unterstützung und Ihre Argumente!
Verena Konrad und das Team des vai