«... über das Glück, in Vorarlberg zu wohnen»
Rede von Köbi Gantenbein zum Festakt "20 Jahre vai" im Mai 2017
Zum heurigen, 25-jährigen Jubiläum des vai erinnern wir uns gern an den Festvortrag
am 5. Mai 2017 von Köbi Gantenbein:
Oh Bewusstsein, Du klimaschaffendes
Du Plattform des Anstandes und der Kritik
Fremdes ins Land bringend
Wo es im Archiv der Ermutigung lagert
Zeitgenössisches Bauen fördernd
So berühmt schon und viel besucht
Und Schüler lehrend im Sammelbecken für
Politiker und Bauherren
Wo Austausch ist, Anregung und Selbstbewusstsein
Baukultur, hehre, in Ewigkeit, Amen
Geschätzte Freundinnen, liebe Freunde des VorarlbergerArchitektur Institutes,
dieses Gedicht ist meine Geburtstagsgabe.
Es ruht auf Eurem Gedächtnis. Für die erste Ausstellung des vai 1999 durften 28 Leute sagen, was sie vom werdenden Institut erwarten. Andrea Nussbaum, Birgit Seissel und Thomas Dimov haben die Ausstellung eingerichtet und ihr den sackstarken Titel «... über das Glück, in Vorarlberg zu wohnen» gegeben. Von ihr ist ein handliches Ringbuch zurückgeblieben, der Katalog. Darin reden 28 Menschen, warum es so ist, wie es ist in Vorarlberg: Sie beichten, wenn sie, wie viele Vorarlberger, zu viel Raum pro Person brauchen und im Einfamilienhaus wohnen, sie reden übers Siedeln und Bauen. Sie beleuchten Land und Zukunft bengalisch. Fast alle haben grosse Freude an den zeitgenössischen Bauten im Land. Sie sind stolz, sodass man meinen könnte, die Baukünstler hätten gelogen, von all der Mühsal mit den Bürgermeistern berichtend und von der Angst, die Vorarlberger möchten ihre Häuser anzünden.
Als am 25. Februar 1964 Cassius Clay Sonny Liston auf die Bretter schickte und überraschend Weltmeister im Schwergewichtsboxen wurde, sagte mein Vater: «So, jetzt kaufen wir auch einen Fernsehapparat, denn wir können ja nicht wieder morgens um vier Uhr zu Doktor Müllers, wenn Sonny Liston Revanche geben wird.» Nicht nur in der Stube der Gantenbeins, sondern in ganz Malans, in halb Graubünden und gewiss auch in Vorarlberg kamen in dieser Zeit massenhaft die Fernsehgeräte in den Alltag. Es waren Kisten aus Holz mit gebauchten Scheiben und kräftig abgerundeten Ecken. Mir gefällt, wie diese schon lange vergessene Form des Fernsehschirms das Design trägt, in das die Grafiker der Klimahütte Dornbirn die Interviews für den Katalog «... über das Glück, in Vorarlberg zu wohnen» eingepackt haben. Sie biegen die Sätze in die Rundungen der Mattscheibe, was mühsam lesbar, aber sinnreich ist. Denn was mein Gedicht vorher wortreich geredet hat, prägt dieses Design visuell. Das vai ist ein Fernsehgerät, ein Massenmedium aus der Zeit, als seine Kiste noch abgerundete Gläser hatte. 1964 war das Fernsehen ja noch eine Richtschnur für das anständige Leben – eine Instanz der Moral. Und die Botschaft der Designer hiess: So eine Instanz wird das vai werden, Mass gebend und dieses vermittelnd. Das war vor 25 Jahren, und es wurde so.
Ja, mehr – die Fernsehstation vai blühte auf! Das Programmheft zehn Jahre später braucht schon drei Ringbücher. Markus Berchtold als Direktor hat das Gedicht aus dem Katalog von 1999 in eine talfüllende Idee gegossen, eine Vision Rheintal. Nach ihm hat Marina Hämmerle aus dem Gedicht ein abend-, land- und weltfüllendes Programm der Baukultur gemacht. Es ist bemerkenswert, wie Ihr, angeführt von Marina, innert weniger Jahre aus der Selbstbespiegelung von 1999 «... über das Glück, in Vorarlberg zu wohnen» dieses Programm mit zwei Reichweiten entfaltet habt. Weltweit das eine und nah das andere, beide kunstfertig ineinander geflochten.
Weltweit. Der Welt erzählt Ihr bengalisch beleuchtet: Zeitgenössische Architektur in Vorarlberg – wer kann es besser? Wer kann es schöner? Wer kann es heisser? Niemand. Gewiss, andere sind auch gut, wir etwa in Graubünden, nur weiss das niemand.
Ich habe also grossen Respekt vor Eurer Glanzleistung im Trommeln für das Gute. Beispielhaft und gewiss ein Höhepunkt waren die «Konstruktiven Provokationen». Eine Ausstellung zur Gegenwart Eurer Baukultur – fünf Jahre, neun Länder, 44 Stationen und über 100 000 Besucherinnen und Besucher. Begleitet habt Ihr die Schau mit gut 50 Vorträgen. In Dublin und Salamanca, in Lyon und Paris sahen die Menschen nicht nur die Heldentaten, sondern hörten auch die Heldinnen. Und im Triumph heimgekehrt, blumenbekränzt, und hier wieder aufgeführt, und gewinnbringend gar habt Ihr die Trophäen verkauft.
Keine Institution – wohl weltweit – hat es geschafft, ein Selbstbild in so kurzer Zeit, zu so geringen Kosten, mit so grosser Wirkung so brillant und hartnäckig zu polieren und erfolgreich aufzuführen wie das vai mit Ausstellungen, Publikationen und Aktionen. Die Art, wie Ihr die Guten ins Töpfchen legt und die Schlechten ausblendet, wie Ihr einsammelt, ordnet und darstellt, was wahr ist und warum «es ein Glück ist, in Vorarlberg zu wohnen», ist grossartig. Als Teil einer Regionalwirtschaft, die sich vif im Export von allem Möglichen entfaltet, spediert Ihr dieses Bild auf die Märkte und heimst Renditen ein in Form von wachsender Bewunderung und handfest in Aufträgen für Eure grösseren Büros, die tätig werden von Wien über Berlin bis Bordeaux und Peking. Ihr gebt Architekten und Bauherrschaften Selbstbewusstsein. Ihr ermöglicht mit, was Graubünden nicht in Ansätzen kann: Ihr macht aus Kultur und Architektur ein blühendes touristisches Geschäft. Auch regt Ihr andere an, so zu tun wie die Vorarlberger. Neulich war ich in einer Jury in Italien, wo es hiess, der Sieger mache es «al vorarlberg». Zu unserm Trost rate, ja, bitte ich Euch darum, einmal eine Ausstellung über «Die Tränen der Architektur – Alltag in Vorarlberg» zu machen. Damit wir Auswärtigen aufschnaufen können und wissen, dass diese bei Euch auch geweint werden.
Schön aber ist auch, wie Ihr im Programm «Neues aus aller Welt» mit Marina Hämmerle immer wieder das Fremde ins kleine Land geholt habt, neugierig, anschaulich, sinnlich staunend etwa, wie sie es in Indien machen, und lernend, dass sie es in Indien ähnlich machen wie die Guten in Vorarlberg. Architektur ist der Flug des Schmetterlings, sicher, Architektur aber ist ein Metier, eine Macherei. In Mumbai und in Krumbach.
Die grosse Tugend des Fernsehens zu seiner Gründerzeit war, die Welt in die Stube zu holen, uns das Staunen zu lernen, mich mitleiden zu lassen, als Sonny Liston auf die Bretter musste. Das vai hat das begriffen und zeitgenössisch gemacht. Das muss man zuerst einmal wollen, dann wagen, dann können und schliesslich machen. Ich verneige mich.
Zur Weltreise bietet Euer Programm als zweites Geländer die Heimatkunde, Welt und Vorarlberg vielfach verknüpfend. Ihr wollt das Gute nicht nur in die Welt posaunen, sondern auch im Land herstellen. Im Ringbuch von 1999 treten 26 Leute auf, die als Täter oder Komplizen mit der intellektuellen oder politischen Produktion von Baukultur zu tun haben – Architektinnen, Planer, Künstler, Bauherren, Regierungsleute. Dazu gesellen sich in einem lebhaften Gespräch Petra Dünser und Susi Präsent, zwei Lastwagenfahrerinnen. Sie sehen sich als Komplizinnen der Architektur, weil es ohne sie keinen Aushub und keinen Beton gäbe. Sie stehen auch für das Volk hin, werweisend, was Baukultur soll. Allenfalls meine das Wort den Umgang miteinander auf der Baustelle. Der sei schon recht, sie als Frauen geachtet. Susi und Petra sind aber die einzigen, die für den Fragesteller des vai nicht spekulieren mussten, wozu ein vai nützlich, nötig und gut sei. Er fragte sie nicht. 11 der 26 andern hingegen muten dem werdenden Institut zu, es werde Susi und Petra begeistern, informieren und erfreuen mit Baukultur und davon überzeugen, dass die Zersiedelung im Rheintal schlecht und das Einfamilienhaus im Walser-Tiroler-Engadiner-Stil ein Landübel sei.
Ich bewundere Euch, wie Ihr auf der Programmschiene Heimatkunde seit 20 Jahren Tropfen um Tropfen auf den heissen Stein tropfen lässt, damit Susi und Petra endlich Eurige werden. Und wie Ihr keineswegs verzagt, wenn der Tropfen im Nichtsnutz verdampft. Ich freue mich in den Jahresberichten zu lesen, wie gut die Einschaltquoten der architektischen Heimatkunde sind. Jeden letzten Freitag im Monat besucht Ihr ein Haus. Bis zu 200 Leute kommen, sie haben ebenso Freude wie der Bauherr stolz ist und der Architekt sich aufrichten kann am Zuspruch. In Dorfgesprächen stellt Ihr die architektischen Heldentaten in den urbanistischen Kontext, weckt Einspruch und Diskurs. Tropfen um Tropfen auf den heissen Stein.
Und Ihr lässt auch Tropfen um Tropfen auf die kleinen Vorarlbergerlein tropfen. Mit Kindersommern beträufelt Ihr sie fürs Gute und Wahre, lässt sie Ingenieurlis spielen und belehrt sie über laufend wachsende Websites. Martina Pfeiffer war eine Pionierin, die auf Eurer Plattform zu grosser Form auflaufen konnte, während bei uns in der Schweiz der Bund der Architekten seit Jahren an Ideen bastelt, den Funken zu den Kindern zu tragen. Und ich will nun gar nicht reden von der scheinbar endlosen Serie, wie Ihr über die Vorarlberger Nachrichten das Gute in die Köpfe der Leute zu platzieren sucht. Ich staune lediglich, dass es in Eurem kleinen Land offenbar so viel Gutes gibt. Ich gestehe gerne, dass ich eine solche Serie schon lange vor Euch erfunden hatte, gar als Geschäft für meinen Verlag spekulierte, in Verhandlungen mit Zeitungsverlegern mich dann verlor, in Prototypen hängen blieb und über das Wollen nie hinausgekommen bin. Ihr aber tatet es.
Und das alles bewundernd schaue ich Euren Personalbestand und Eure Jahresrechnung an und bin verblüfft. Mit so wenig so vieles auf die Beine stellen und zäh die Kontinuität über Jahre halten – das ist eine Leistung von Verena Konrad, Jörg Meissner und Lisa Ugrinovich, von den Anverwandten und Unterstützern, die eine zweite tiefe Verbeugung verlangt.
Schaue ich zu den Meinen in der Schweiz, so gibt es von all dem nur ein zaghaftes Scharren und Kratzen. Die weltberühmten Architekturschulen sind vor allem auf ihre eigene Exzellenz bedacht und strahlen sie lieber in Singapur aus, als dass sie das Oberwallis oder das Bergell interessierten. Keines der Architekturmuseen oder der Architekturforen bringt ein so breites Programm mit so wenigen Mitteln auf die Beine wie Ihr – vorab die hartnäckige, kleinteilige Heimatkunde in Feld, Hof und Schule ist Eure Stärke, Euer Schmuckstück und Eure beste Eigenart. Unser Nationalschriftsteller Jeremias Gotthelf rief an der Versammlung der Schützen 1842: «Im Hause muss beginnen, was leuchten soll im Vaterland.» Wir beten das nach, Ihr tut es.
(zu singen als Sarganserländer Alpsegen:)
Zersiedelt gesiedelte Zersiedelung
Mit Haus allein, klein und fein.
Die Bodenleiste auf Gehrung geschnitten
Herrgott Stadt endlich, Stadt
Kompliziert, komplexer Flächenwidmungsplan,
Oh Eigentum und Ermächtigung, Planungsakt
Beratungsgremium, 22-köpfig.
Überall ist jemand, und ich will keinen dicht auf mir
Die Gesellschaft will, die Politik macht, das Auto fährt
Der Vorarlberger ist so, und das ist nicht beeinflussbar.
Doch es ist höchste Zeit, denn das Wasser fliesst
von oben nach unten. Fertig lustig Los Angeles am Rhein.
Teuer bist Du auch, oh zersiedelt gesiedelte Zersiedelung.
Werde Stadt, endlich. Ave Maria und Josef, Amen.
Dieser Sarganserländer Alpsegen ist meine zweite Geburtstagsgabe. Er ist die zweite Zusammenfassung der Worte von den 28 befragten Leuten in der ersten Ausstellung des vai «... über das Glück, in Vorarlberg zu wohnen». Die Ausstellungsmacher wollten von den Leuten wissen, wo sie ihres Glücks Schaden sähen. Zusammengefasst: Zersiedelung. Das war 1999.
Neulich fuhr ich mit dem Landbus wieder einmal durch Euer Land und sah: Mein Alpsegen aus Worten von einst ist von ewigem Wert. Was also haben 20 Jahre vielseitiges, gut besuchtes, buntes, ernstes Fernsehprogramm dagegen bewirkt? Ich bin ein Fremder und masse mir nur die Frage an. Ihr aber kennt die Antwort.
Lege ich die Prospekte all der Vorträge, Ausstellungen, Projekte, Experimente, Schul-, Orts- und Landbesuche in meiner Stube aus, die grossen europaweit leuchtenden Kisten wie die «konstruktiven Provokationen» und die nach innen gerichteten Experimente wie das «Antipodium», fällt mir auf, wie brillant Euer Diskurs am Selbstbild, an den Wirkungsweisen der einander gut Gesinnten und am Metier des Architekten ist. Programmatisch ruft denn auch das Plakat für Eure Jubelausstellung «20 Jahre für gute Architektur». Bleibt dran an der Politur Eurer Baukünstler. Helft ihnen, in die Welt hinaus und hinein ins Land bis ins hinterste Haus von Sibratsgfäll zu wirken. Lobt die Bauherren über den grünen Klee – sie haben es verdient. Helft den Architekten, am Dasein zu grübeln, sie tun das gerne. Schreibt die Zeitung voll, erfreut die Schulkinder und stiftet Neugier für das Fremde aus Mumbai und Athen. Fünf Tage in der Woche.
Am sechsten und siebenten Tage aber ruhet nicht. Steigt in den Luftballon, fliegt übers Land und wechselt den Massstab. Und seht unten auf der Erde die Zumutung von Projektentwicklern, wie die Spekulanten heute heissen. Hört, wie sie «alternativlos» rufen und die Bürgermeister «jawoll» echoen. Und glaubet ihnen nicht.
Ihr wisst das viel besser als ich: Auf Euren Böden geht es rund, wenn 1000 Euro pro Quadratmeter zum Eichmass werden, Dorfkerne vergammeln, Auto fluten, Ränder ausfranseln und Bauland gehortet wird. Baukultur ist gut und das gefällige Haus edel, aber die Architekten als deren Träger haben es mit Produktionsbedingungen zu tun. Sie heissen Bodenpreis, Bodenrecht, Raumplanung. Vor ein paar Tagen sah ich die Petition «V hoch drei», gestiftet von einem Teil Eurer Architektenschaft, die solche Gedanken offenbar auch hegt. Ich staunte weniger über die illustren Architektennamen auf der Liste, sondern über die etlichen Gemeindeleute vom verträumten Sibratsgfäll, wo der Fuchs und Hase wohnen, bis nach Bregenz, wo der See prangt. Und von Bezau bis Bizau – ich weiss nie in welchem der «Schwanen» und in welchem die «Post» ist. Beide sind so gut. Und diese Politiker sagen, dass etwas zu tun ist, damit «das Glück, in Vorarlberg zu wohnen» nicht verloren geht.
Das vai, euer Institut, soll für solche Sorge am sechsten und siebten der sieben Tage Labor und Observatorium sein, denn kluge Thesen zum Bodenrecht und der papierige Wust zur Raumplanung brauchen Vermittlung, Bilder, Texte. Sie brauchen Erzählungen und Anschauung. Und wer, wenn nicht Ihr als Fernsehmacherinnen kann sie geben? Redet zuwider, wenn Landschaft beschädigt wird, setzt Euch ein für den Flug des Zitronenfalters und des Eisvogels. Ruft aus, wenn Strassen ausgebaut werden, und zeigt Bilder davon, stiftet Gegenprojekte an, wenn Unsinn Beton werden will.
Die Euch Nährenden werden nichts dagegen haben. Denn Ihr macht es ja am sechsten und siebenten Tag. Und Ihr macht es, damit die Ausstellung zu Eurem 40. Geburtstag im Mai 2037 heissen wird: «... über das Glück, in Vorarlberg zu wohnen.» Ich werde mit dem Rollator herbeirollen und dazu die Vernissagerede halten.