Emeritierung von Roland Gnaiger
ein Text von Otto Kapfinger
Roland Gnaiger verabschiedete sich am 26. Juni 2019 mit einem Fest von seinen Studierenden und Mitarbeiter|innen an der Kunstuniversität Linz. Wir danken Otto Kapfinger, dass wir seine verschriftlichten Gedanken dazu hier veröffentlichen dürfen und wünschen dir Roland, eine gute Zeit „danach“. Wir freuen uns auf viele weitere Begegnungen mit dir!
Verena Konrad und das vai-Team
Architekt Roland Gnaiger beendet seine Lehrtätigkeit an der Kunstuniversität Linz. Er hat diese erst in den 1970er Jahren gegründete, regionale Architekturschule in dem vergangenen Vierteljahrhundert zu einer über Europa hinaus beachteten und erstrangig geschätzten Stellung, Bedeutung und Ausstrahlung geführt.
Dies verdankte sich dem Umstand, dass er einerseits als Planer und Gestalter jegliche „Aufgabe“ auf der Basis einer anstehenden elementaren sozialen, ökonomischen und ökologischen Fragestellung und Konzeption behandelte – und auch in überzeugender Form umsetzen konnte – und dass er andererseits ein in dem Beruf seltenes pädagogisches und kommunikatives Talent mitbrachte und entfaltete, mit dem er die komplexen Probleme unserer Alltagskultur und -unkultur mit großer Klarheit erfassen und diagnostizieren und zugleich sprachlich auch alltagstauglich vermitteln und argumentieren konnte, ohne bei aller kritischen Schärfe ans Dogmatische oder Populistische auch nur anzustreifen.
Er kam sozusagen „aus der Mitte“ jener regionalen Bewegung, die sich in Vorarlberg ab etwa 1960 formierte und gleichsam „von unten“ eine erstaunliche Erneuerung der Baukultur auf breiter Basis erreichte.
Im Katalog von 2003 "Konstruktive Provokation – Neues Bauen in Vorarlberg" zu der an über 40 Orten Europas gezeigten Dokumentation über dieses „Phänomen“ steht dazu: „Roland Gnaiger hat die Haltung von Hans Purin und Rudolf Wäger wohl am deutlichsten durch die achtziger Jahre in die neunziger weitergetragen, hat relativ wenig gebaut, dafür mit der Schule in Warth, mit dem Vetterhof in Lustenau und jüngst mit dem Kindergarten in Bregenz/Braike modellhafte Lösungen verwirklicht, in denen das Baukonzept in einer viel weiter und tiefer reichenden, gesellschaftlichen Programmatik aufgeht.“
Vorurteilslose Beobachtung – human grundiertes Verstehen – systemisch geschultes Erkennen – Phänomene, Aufgabenstellungen am fruchtbaren Punkt erfassen und langfristig verantwortlich weiterdenken: für solche Qualitäten waren aber auch sehr frühe auswärtige Erfahrungen Gnaigers wichtig. Ich denke, er brachte gerade aus seinen Studienjahren in Holland in den 1970er Jahren Anregungen mit, die wohl am eindrücklichsten der legendäre Amsterdamer Aktivist und Architekten Aldo van Eyck verkörperte. Van Eyck hatte in Amsterdam hunderte öffentliche Plätze und Spielplätze gestaltet, hatte sich mit den Lebensfragen von Randgruppen befasst, aber auch mit außereuropäischen Haus- und Stadtformen. Schon vor 1960 formulierte er etwa: „Cities can only be human, if they are also designed for children. If they are not meant for children they are not meant for citizens either. If they are not meant for citizens – they are not cities…“
Ich selbst machte im Rahmen einer ÖGfA-Exkursionswoche 1981 meine erste Architektur-Reise nach Vorarlberg. In deren Verlauf begegnete uns eine junger, schlaksig-quirliger Mann mit wild wuchernder Haarpracht und mit einer – im Vergleich zur alemannischen Wortkargheit anderer Protagonisten der Szene, die uns damals ihre Bauten zeigten – fast irritierenden Redefreudigkeit und Wortgewandtheit. Roland führte uns zu seinen ersten Projekten, meist Umbauten alter Bausubstanz, und er zeigte schon damals auch an scheinbar kleinsten, unspektakulären Einzelheiten seinen Durchblick auf die allgemein relevanten und lokal wie global zu beachtenden und zu bewältigenden Aspekte.
1985–87 nutzte er diese Gabe dann für 150 landesweite TV-Sendungen im Format „Plus-Minus“, die wesentlich dazu beitrugen, dass all diese Themen in der Bevölkerung wie auch in Fachkreisen produktiv erkannt, intensiv diskutiert und als Grundlage einer weiterwirkenden „Bewusstseinsbildung“ im Lande wirkten.
Es passte dann vollkommen dazu, dass Gnaiger auch das Curriculum in Linz ab 2005 insistierend auf globale, allgemeingültige Problemfelder richtete und mit dem Studio BASEhabitat vielbeachtete, ausgezeichnete und wirksame Projekte in sogenannten Entwicklungsländern initiierte. Das jetzt weiter zu erläutern, hieße in Linz ja Eulen nach Athen tragen…
Es wäre in dem Sinne bei diesem Anlass aber noch erinnernswert, dass es ohne Roland Gnaiger weder den großartigen Verein „Landluft – Förderung der Baukultur in ländlichen Räumen“ geben würde, noch auch den extrem wichtigen und schwierigen Balanceakt der vom einschlägigen Bundesministerium in Kooperation mit der Uni Linz durchgeführten Österreichischen Staatpreise für Architektur und Nachhaltigkeit, noch auch so unorthodoxe wie baupolitisch und baudemokratisch wegweisende Projektgruppen wie etwa nonconfrom oder die weltweit gewürdigten und beachteten Aktivitäten seiner „Schülerin“ Anna Heringer …
Roland Gnaigers Arbeit als bauender und lehrender Architekt und urban-ländlicher „Citoyen“ – im Sinne von Richard Sennett – wurde vielfach national und international mit Preisen gewürdigt und als Vorbild anerkannt.
Man könnte nun denken, eine solche Lehrpersönlichkeit wäre kaum zu ersetzen – und es bräuchte sie ja in Zeiten wie diesen fast noch dringlicher als in den Berufungsjahren von Gnaiger selbst!!
Ich bin aber überzeugt, dass Roland gerade durch seine Lehrtätigkeit und sein Beispiel auch als bauender Architekt und als zivilgesellschaftlich exponierter Bürger eine Saat gesät hat, aus der zwangsläufig und grandios jene hervorgehen werden, die sein Erbe hier in Linz und weit darüberhinaus fortsetzen und weiter entwickeln werden. Dazu die allerbesten Wünsche!
Herzlichen Dank, lieber Roland, für all das – die Früchte deiner Arbeit sind überreich.
Otto Kapfinger | Wien, Juni 2019