Abschied von Eckhard Schulze-Fielitz
Der Deutsche Raumpionier und Architekt der Siedlung an der Ach in Bregenz ist am 1. September verstorben. Ein Nachruf von Wolfgang Fiel.
Eckhard Schulze-Fielitz wurde am 24.12.1929 in Stettin, dem heutigen Szczecin, Polen, als ältester Sohn von Eva und Günther Schulze-Fielitz geboren. Er hat trotz der herausfordernden Umstände der späten Kriegs- und frühen Nachkriegsjahre, die ihn ein Leben lang beschäftigen sollten, mit der Architektur ein Thema gefunden, das ihm zur Berufung wurde. Eckhard hat sein Studium von 1949 bis 1954 in Aachen und Karlsruhe unter anderen bei Hans Schwippert und Egon Eiermann absolviert und unmittelbar danach in Partnerschaft mit Ulrich von Altenstadt und Ernst von Rudloff den Wettbewerb zum Landeshaus, einem öffentlichen Verwaltungsgebäude in Köln, gewonnen, das dem Trio nach seiner Fertigstellung 1959 deutschlandweites Renommee eingebracht hat. Der, wie Eckhard zu sagen pflegte, in der Tradition von Mies gehaltene und heute unter Denkmalschutz stehende Bau, hätte der Anfang einer klassischen Architekturkarriere sein können. Eckhard hat immer wieder betont, dass ihn diese Aussicht nicht interessierte. Er hatte zeitgleich mit dem Bau des Landeshauses damit begonnen, sich mit strukturellen Fragen des Bauens und mathematisch-geometrischen Modellen der Raumbildung zu beschäftigen. Diese Überlegungen hat er in das Modell seiner „Raumstadt“ übertragen, dass 1960 in der Galerie Van de Loo in Essen erstmals öffentlich gezeigt wurde und dort die Aufmerksamkeit von Daniel Spoerri erregte, der Eckhard kurz danach in Paris mit Yona Friedman bekannt machte. Das zu einer Ikone der visionären Architektur der 60er und 70er Jahre gewordene Modell ist Teil der renommierten Architektursammlung FRAC Centre in Orléans, Frankreich.
Die Begegnung mit Friedman war nicht nur der Anfang einer lebenslangen Verbindung zweier verwandter Seelen, sondern hat Eckhard zur vertiefenden Ausarbeitung seiner städtebaulichen Ideen angespornt, die er – vielleicht im Gegensatz zu Friedman – auch umsetzen wollte. Gemeinsam mit Friedman schloss sich Eckhard 1961 der Gruppe GEAM (Groupe d’Etudes d’Architecture Mobile) um David Georges Emmerich, Camille Frieden, Günter Günschel, Frei Otto und Werner Ruhnau an, die in ihrem Manifest ein „mobiles“ oder „anpassungsfähiges“ Bauen mit präfabrizierten Elementen proklamierten und offenere und partizipativ gestaltete Planungsprozesse einforderten. Eckhard, der zu diesem Zeitpunkt in Paris lebte, hat auch den Kontakt mit Künstlern wie Constant, Yves Klein, Wojciech Fangor oder André Thomkins gepflegt und mit letzterem beim Projekt der Jakobuskirche in Düsseldorf-Eller auch zusammengearbeitet. Für dessen Realisierung ist er 1964 mit dem Internationalen DEUBAU Preis für zukunftweisendes Bauen ausgezeichnet worden. Zwei Jahre davor, wurde Eckhard von den Verantwortlichen der Deutschen Bauausstellung mit der Konzeption eines internationalen Architekturkongresses betraut, für den er neben Yona Friedman die damals in Deutschland noch wenig bekannten Konrad Wachsmann, Richard Buckminster Fuller, Kenzo Tange, Felix Candela, Ernst Frey und Frei Otto, um nur einige zu nennen, nach Essen bringen konnte. Der Austausch mit den internationalen Kollegen hat ihn darin bestärkt, das erste Modell der Raumstadt zu sog. Stadtbausystemen weiterzuentwickeln. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse hat Eckhard 1971 in einer zweibändigen, im Karl Krämer Verlag erschienenen Publikation mit dem Titel Stadtsysteme I & II zusammenfassend veröffentlicht und in Analogie zum Vorläufer der Raumstadt in ein physisches Modell übertragen, das sich heute, gemeinsam mit seinem übrigen Nachlass im Baukunstarchiv NRW in Düsseldorf befindet. In die 60er Jahre fallen neben dem 1963 gemeinsam mit Yona Friedman entwickelten Projekt einer Brückenstadt über den Ärmelkanal, zahlreiche große Wettbewerbsbeteiligungen, wie etwa für das Rathaus in Essen 1964, den Flughafen Berlin Tegel 1966 oder das Olympiastadion in München 1970.
Im Auftrag des damaligen Deutschen Bundesministeriums für Städtebau und Wohnungswesen, hat Eckhard 1970–72 eine breit angelegte Studie zur räumlichen Maßordnung im Wohnungsbau erstellt, die, abgesehen von den technischen Implikationen der davon ableitbaren Baunormen, ein praktischer Leitfaden für die räumliche Organisation komplexer Raumprogramme ist und im Licht der gegenwärtigen Diskussion zur Kreislaufwirtschaft neue Aktualität erlangt.
Anlässlich der 1970 gemeinsam mit dem österreichischen Architekten Walter Hildebrand entwickelten Notbehausungen oder „Tonnenhäuser“, hat Eckhard Gunter Wratzfeld kennengelernt und die Idee reifen lassen, sich gemeinsam mit Jakob Albrecht am zweistufigen städtebaulichen Wettbewerb zur Achsiedlung in Bregenz zu beteiligen, aus dem sie 1972 als Gewinner hervorgehen sollten. Während der etappenweisen Umsetzung der insgesamt knapp 850 Wohnungen umfassenden Anlage, hat die ARGE zahlreiche weitere kostengünstige und flächensparende Wohnbauprojekte in Vorarlberg realisiert.
Von den späten 70er bis in die 90er Jahre sind gemeinsam mit Peter Rodemeier vorwiegend in Nordrhein-Westfalen eine Reihe von Wohnbauten entstanden. In dieser Zeit hat Eckhard daran gearbeitet, die räumlichen Ordnungssysteme, die der Raumstadt und den späteren Stadtsystemen zugrunde liegen, in einen systematischen Zusammenhang zu bringen und – in Anlehnung an ein Denkmodell aus der Physik – die Möglichkeit zu nutzen, den geometrischen Nukleus weniger Elementarteile nach einem präzisen Bildungsgesetz beliebig in alle Richtungen zu erweitern. Diese – wie es ein Kollege treffend auf den Punkt brachte – räumliche Mandala ist von Eckhard später als „Metaeder“ bezeichnet worden und stellt neben den konkreten architektonischen Manifestationen dieses Prinzips, zu denen auch die Raumstadt selbst gehört, das zentrale Vermächtnis eines Architekten dar, der sich mit wissenschaftlicher Präzision und künstlerischer Leidenschaft der Suche nach einem Bildungsgesetz verschrieben hat, das die Genese einer architektonischen Struktur mit der universellen Logik organischer Wachstumsprozesse beschreibt.
Eckhard Schulze-Fielitz war auch in ökologischer Hinsicht seiner Zeit voraus. Die Arbeit des Club of Rome, die 1972 mit der Publikation The Limits to Growth zu einer ersten wissenschaftlich fundierten Kritik am Mantra der Moderne führte, hat er als Aufforderung verstanden, daraus auch architektonische Konsequenzen abzuleiten. Er hat sich vor dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrungen in Gabun, wo er 1962 gemeinsam mit dem französischen Ingenieur Robert Lourdin einen Schulbau realisiert hat, mit der Frage beschäftigt, wie ressourcenschonendes Bauen unter Verwendung lokaler Materialien und mit geringem technischem Aufwand zu klimagerechten und menschenwürdigen Strukturen führen kann. Eckhard hat diesen holistischen Ansatz zu einem Selbstbausystem weiterentwickelt und 1981 unter dem Titel „Ökotektur“ als Sonderbeilage des deutschen Magazins Baumeister veröffentlicht.
Eckhard war zu bescheiden, um die Anerkennung und öffentliche Wahrnehmung zu generieren, die der Breite und dem visionären Tiefgang seines Werks gebührt hätte. Er hat neben seinem Lehrer Egon Eiermann und seinem Freund Yona Friedman mit Constant, Konrad Wachsmann, Buckminster Fuller, Frei Otto, Kenzo Tange und Mies van der Rohe einige der bedeutendsten Figuren der internationalen Nachkriegsmoderne persönlich kennengelernt und war damit Teil eines architektonischen Diskurses, dessen historische Bedeutung kaum hoch genug eingeschätzt werden kann.
Eckhard hat sich nach einem erfüllten und bewegten professionellen Leben in seine Wahlheimat Bregenz zurückgezogen und hatte das Glück, die letzten Jahre an der Seite von Hiltrud Gelderblom zu verbringen, mit der er nicht nur liebevoll verbunden war, sondern auch sein nie nachlassendes Interesse für das globale Zeitgeschehen teilen konnte.
Eckhard Schulze-Fielitz ist am 1. September 2021 im Alter von 91 Jahren friedlich entschlafen.
Ruhe in Frieden, mein lieber Freund!
Wolfgang Fiel