Abschied von Karl Sillaber
Wir nehmen Abschied von unserem geschätzten Kollegen, Mentor, Wegbegleiter, Freund und Unterstützter Karl Sillaber. Im Juli dieses Jahr 90 Jahr alt geworden, hat Karl vielen von uns in den letzten Jahren und Jahrzehnten ein großes Geschenk gemacht: er war präsent. So hat er nicht nur bedeutende Architektur geschaffen, er hat auch etwas für die Architektur bedeutet: als Mensch und als Kollege, als Förderer einer jungen Architekturgeneration und als Förderer der Architekturdebatte und des öffentlichen Bewusstseins für gute Architektur.
Gemeinsam mit den anderen Mitgliedern der Arbeitsgruppe C4 Architekten – Max Fohn, Helmut Pfanner und Friedrich Wengler – gilt er als einer der Pioniere des neuen Bauens in Vorarlberg. Ihr erstes Projekt, die Volksschule Nüziders (1960–63), ist ein Schlüsselwerk des modernen Schulbaus in Vorarlberg und wurde erst kürzlich durch Fink Thurnher Architekten erweitert. Weitere Schulbauten, aber auch Ein- und Mehrfamilienhäuser, Bürobauten, Gewerbebauten und Frei- und Hallenbäder folgten. Die Architekturhistorikerin Ingrid Holzschuh hat diese Bauten und die dahinterstehenden Akteure in einer Ausstellung und einem Buch letztes Jahr ausführlich portraitiert und im Kontext der Ereignisse der Zeit und ihrer Herausforderungen dargestellt. Weniger bekannt war der Öffentlichkeit bis dahin Karl Sillabers Faible für die Zeichnung und seine Meisterschaft in diesem Metier. Für Freund|innen, Kolleg|innen oder die vielen Menschen, mit denen er auf Reisen war, war dies natürlich kein Geheimnis. Seine Skizzenbücher begleiteten ihn überall hin. Anstelle des Fotoapparates zückte Karl den Bleistift und konnte mit geübter Hand und wenigen Strichen die Welt um sich herum einfangen. Seine Neugier und seine Präsenz war einfach spürbar, wenn er unterwegs war – egal ob in der Stadt oder in den Bergen, die er sehr liebte, in der Begegnung mit anderen Menschen oder der Erfahrung von Natur. Er war offen und bereit, etwas zu erleben und sich zu zeigen.
Der große Respekt, den viele Kolleg|innen für Karl Sillaber immer wieder zum Ausdruck brachten und bringen, kommt einerseits aus der Anerkennung für sein Werk und seine Leistungen, mindest ebenso aber ist er Ausdruck von Achtung vor dem Menschen Karl Sillaber, vor einem unprätentiösen, immer freundlichen, immer aufrechten und immer interessierten und offenen Gegenüber, denn ein solches war Karl Sillaber. Er war ein echtes Gegenüber und immer da, zeigte sich bei Veranstaltungen, lobte die Leistungen der anderen, vermittelte echtes Interesse. Es war ihm eine sichtbare Freude, dass er diese Anerkennung in den letzten Jahren auch in Form von Ausstellungen und Büchern zuteilwurde, im Architekturzentrum Wien und im Vorarlberger Architektur Institut über den „Generationendialog“, für den sein Leben und seine Art des Sich-hin-wendens fast schon namensgebend und vorbildhaft war, vor allem aber die Einzelpräsentation seiner Arbeiten im Kontext von C4 im vorarlberg museum und im von seinem Freund Walter Fink herausgegebenen Buch über seine wunderbaren Zeichnungen. Wer am Abend der Eröffnung und Buchpräsentation im vorarlberg museum war, kann sich an ein dicht besetztes Foyer erinnern bzw. war Teil davon. Das Publikum war an diesem Abend Akteur, denn die Anwesenden sagten durch ihre Präsenz ganz deutlich: jetzt sind wir für dich da. An diesem Abend drehte sich Karl immer wieder um und sein neugieriger Blick wurde mit vielem Kopfnicken, Zuzwinkern und Lächeln im Publikum erwidert, so wie er es zuvor Jahrzehnte praktiziert hatte, wenn er „immer da“ war.
Präsenz ist eine Aussage. Sie sagt nicht nur etwas über Interesse und Hinwendung. Sie ist ein Zeichen der Achtung und des Respekts, aber auch ein Zeichen des Gewichts, das man einer Sache und einem Anliegen gibt. Karl konnte das gut. Er war präsent und sagte damit: das hier ist mir wichtig. Du bist mir wichtig. Dabei hat er kein Wort verloren und hat meist nur freundlich oder ein bisschen schelmisch gelächelt. Dieses Wohlwollen und diese Wertschätzung war auch in seiner Kritik enthalten. Seine Kritik war ein freundliches Umschwenken zu einem Argument, eine Erzählung. Wer etwas hören wollte, konnte viel von ihm erfahren.
Kollegialität bedeutet so viel. Sie geht über das gemeinsame Arbeiten hinaus. Sie ist auch eine Art Beziehung mit professionellem Hintergrund. Es geht um Kritik und Vertrauen, Konkurrenz und Kooperation, gemeinsames Einstehen für wichtige Entwicklungen, Loyalität und Expertise. Karl hat nie viel über diese Dinge gesprochen. Er hat sich einfach verhalten und sich gezeigt. Danke für dieses Geschenk. Wir werden dich sehr vermissen.
Interview Matthias Hein mit Karl Sillaber im Rahmen der Ausstellung "Vorarlberg | Ein Generationendialog" des Az W Architekturzentrum Wien, 2019.