Lacaton & Vassal | Inhabiting
Pleasure and Luxury for Everyone
AusstellungDie Architekt|innen Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal gehören zu den international wichtigsten Vertreter|innen einer „pragmatischen“, zugleich sozialen Architektur, die sowohl die ökonomischen als auch ökologischen Grundlagen des Bauens hinterfragen. Freiräume sowie „luxuriöse“ Lebensräume zu planen, sehen sie als eine Hauptaufgabe ihrer Architektur. Dank einfacher und industrieller Materialien gelingt es ihnen, günstigen und gleichzeitig architektonisch hochwertigen Wohnraum zu schaffen.
Bereits in ihrem ersten Projekt, dem Einfamilienhaus Latapie von 1993, formulieren sie die Grundzüge ihres weiteren Schaffens. Eine adaptierte Gewächshauskonstruktion stülpt sich über einen einfachen Holzkörper und definiert eine klimatische Hülle, die als Wintergarten bzw. erweiterter Lebensraum fungiert. So entstanden 185 m2 Nutzfläche für damals etwas mehr als 55.000 Euro. Das Thema des Gewächshauses nimmt in weiterer Folge eine zentrale Rolle in ihrem Werk ein, denn es findet sich kaum ein Projekt, das nicht gewisse Elemente oder Versatzstücke dieses Industrieproduktes aus dem Gartenbau aufgreift.
Dies gilt auch für die experimentelle Reihenhaussiedlung Cité Manifeste in Mulhouse – ein international viel beachtetes Projekt von Lacaton & Vassal, das bereits 2005 im aut zu sehen war. Hier ruht eine überdimensionale Gewächshauskonstruktion auf einem Sichtbetonsockel. Auf aufwendige Details wurde bewusst verzichtet und nur zwei Drittel des errichteten Volumens thermisch isoliert, den restlichen Raum können die BewohnerInnen mit Hilfe von flexiblen Elementen klimatisch steuern. Von den fünf beauftragten Architekturteams erfüllten sie damit am radikalsten den Anspruch nach mehr Raum, nicht nur weil sie fast das doppelte Volumen des üblichen Standards im sozialen Wohnbau errichteten, sondern auch weil die loft-ähnlichen Wohnungen viel Spielraum für eine individuelle Aneignung zulassen. Gleichzeitig werden die gewohnten Klischees der Nutzer|innen herausgefordert und die Maxime der Raumreduktion im sozialen Wohnbau in Frage gestellt.
In ihrer 2004 mit Frédéric Druot veröffentlichten Studie PLUS, sprechen sich Lacaton & Vassal gegen die Sprengung und für die Transformation der Großwohnsiedlungen aus den 1960er wie 1970er Jahren aus. Sie reagieren damit auf Pläne des französischen Staates, 200.000 Wohnbauten aus dieser Zeit durch neue zu ersetzen und zeigen auf, dass Erhalt und Umnutzung sozial, ökonomisch und ökologisch nachhaltiger sind. Auf Basis dieses Konzepts rüsteten sie mit simplen Strategien und mit Beteiligung der Bewohner|innen einige Wohnhochhäuser in Frankreich um. Diese werden bei Vollbetrieb technisch saniert und die Wohnungen durch eine vorgelagerte Raumschicht, bestehend aus Wintergarten und Balkon, erweitert – und das bei gleich bleibender Miete.
Die Ausstellung zeigt anhand von Projektionen zahlreicher Bauten und Studien diesen sozialen wie nachhaltigen Ansatz der beiden Architekt|innen und eröffnet konzeptionelle Alternativen zu aktuellen Diskussionen im sozialen Wohnbau. Durch großformatig projizierte Fotos der transformierten Räume wird die Qualität ihrer Haltung direkt spürbar. Zusätzlich werden einige architektonische Konzepte von öffentlichen Bauten sowie ihre Entwurfsmethodik mittels Slideshows präsentiert. In der Lounge des aut vermittelt ein Foto vom Innenraum des Palais de Tokyo einen fast maßstabsgetreuen Eindruck von der architektonischen Haltung der beiden Architekt|innen im Umgang mit historischer Substanz. Ergänzt wird die Ausstellung durch Bücher und Projektdokumentationen von Lacaton & Vassal sowie durch zwei auf Bildschirmen präsentierten Vorträgen der beiden Architekt|innen.
Anne Lacaton
geb. 1955 in Frankreich; 1980 Architekturdiplom an der École d‘Architecture de Bordeaux; 1984 DESS d‘urbanisme an der Universität Bordeaux; 1989 Gründung des gemeinsamen Büros Lacaton & Vassal; zahlreiche Gastprofessuren: 2007 – 13 an der Universität Madrid im Fach-bereich Wohnbau; 2004, 2006 und 2010 – 11 an der EPFL Lausanne; 2012 an der Univer-sity of Florida; 2013 an der University of NY-Buffalo; 2013 – 2014 am Pavillon Neuflize OBC-Palais de Tokyo; 2016 – 17 in Harvard GSD und an der TU Delft; seit 2017 Professorin an der ETH Zürich
Jean-Philippe Vassal
geb. 1954 in Casablanca, Marokko; 1980 Architekturdiplom an der École d‘Architecture de Bordeaux; 1980 – 85 Tätigkeit als Stadtplaner im westafrikanischen Niger; 1989 Gründung des gemeinsamen Büros Lacaton & Vassal; zahlreiche Gastprofessuren:
2007 – 11 an der TU Berlin, 2010 – 11 an der Peter Behrens School of Arts in Düsseldorf und der EPFL Lausanne, 2013 – 14 am Pavillon Neuflize OBC-Palais de Tokyo; seit 2012 Professor an der Universität der Künste in Berlin
Bauten (Auswahl)
1993 Einfamilienhaus Latapie, Floirac (F); 1995 und 2001 Fakultät für Kunst und Geisteswissenschaften, Universität Grenoble (F);1997
Einfamilienhaus, Dordogne (F); 1998 Einfamilienhaus, Cap Ferret (F); 1999 Einfamilienhaus, Bordeaux (F); 2000 Einfamilienhaus, Coutras (F); 2001 Café Una, Museumsquartier Wien (A); 2002 Bürohaus, Nantes (F); 2005 Einfamilienhaus, Keremma (F); Cité Manifeste, Mulhouse (F); 2006 Temporäre Ausstellungshalle für die Documenta 12, Kassel (D); 2007 Messe- und Ausstellungshalle, Paris (F); 2008 Universitätsgebäude, Pôle Universitaire de Sciences de Gestion, Bordeaux;2009 Hochschule für Architektur, ENSA Nantes (F); 2011 Transformation de la Tour Bois-le-Prêtre, Paris (F), Druot, Lacaton & Vassal; Sozialer Wohnbau, 53 Wohnungen, Saint-Nazaire (F); 2012 – 14 Palais de Tokyo, Paris (F); 2013 Universitätsgebäude, ENS Cachan, Paris-Saclay (F); Multifunktionales Theater Polyvalent, Lille (F); 2013 – 15 FRAC Nord-Pas de Calais, Dunkerque (F); 2014 Transformation Wohnblock, Saint- Nazaire (F); Sozialer Wohnbau, 59 Wohnungen, Jardins Neppert, Mulhouse (F); Studentenwohnheim und sozialer Wohnbau, Paris (F); 2016 Wohnbau, 96 Wohnungen, Chalon- sur-Saône / Prés-Saint-Jean (F); Transformation von 530 Wohnungen, Cité du Grand Parc, Bordeaux (F), Lacaton & Vassal, Druot und Hutin; 2017 Projekt Lacoste, Dakar, Senegal
Publikationen (Monographien)
2002 „Lacaton & Vassal“, 2G n°21, Editorial GG, Barcelona; 2007 Frédéric Druot, Anne Lacaton & Jean-Philippe Vassal, „plus. Large scale housing developments. An exceptional case“, Editorial GG, Barcelona; 2009 „Lacaton & Vassal“, HYX, Paris ( Ausstellungskatalog); 2010 „Lacaton & Vassal“, 2G Books, Editorial GG, Barcelona; 2012 „Lacaton & Vassal“, 2G n°60, Editorial GG, Barcelona; Ika & Andreas Ruby ( Hg.), „Druot, Lacaton & Vassal – Tour Bois-Le-Prêtre“, Ruby Press, Berlin; „DNK – 110823
Lacaton & Vassal“, FRAC Nord-Pas de Calais, Dunkerque; „Lacaton & Vassal“, A+U n°498, Japan
Auszeichnungen (Auswahl)
1991 Preisträger Albums de la Jeune Architecture; 1999 Grand Prix National d’Architecture Jeune Talent für das Einfamilienhaus Latapie; 2003 Finalist Mies Van der Rohe Award für das Palais de Tokyo; 2006 Schelling Architekturpreis und Sustainability and Residential Innovation Award der Stadt Madrid; 2007 Finalist Mies Van der Rohe Award für das Universitätsgebäude der Pôle Universitaire de Sciences de Gestion, Bordeaux; 2008 Grand Prix National d’Architecture; 2009 International Fellow des Royal Institute of British Architects; 2011 Equerre d’Argent Award mit Frédéric Druot für die Transformation des Tour Bois-le-Prêtre und Daylight & Building Components Award der Velux Foundation Kopenhagen; 2013 Design of the Year (architecture category) mit Frédéric Druot; 2014 Rolf Schock Prize (visual arts category); 2016 The Living Places – Simon Architecture Prize der Fundació Mies Van der Rohe mit Frédéric Druot und Christophe Hutin für die Transformation von drei Wohnbauten in Bordeaux; Auszeichnung für das Lebenswerk verliehen von der Trienal de Arquitectura de Lisboa; Goldmedaille der Académie de l’Architecture und Heinrich-Tessenow- Medaille in Gold; 2017 BigMat Grand Prize for Architecture für das FRAC
Bei »Grand Parc Bordeaux« von Lacaton & Vassal Architectes, Frédéric Druot Architecture und Christophe Hutin Architecture handelt es sich um eine innovative Renovierung von drei großen Sozialwohnblöcken (530 Wohnungen) in Bordeaux, die den Raum und die Lebensqualität für die Bewohner|innen radikal verbessert und optimiert sowie gleichzeitig die wirtschaftlichen und ökologischen Kosten verringert.